Swissness oder die neue Liebe zum alten Schweizerkreuz

Unsere 3sat Dokumentation ist auf grosses Echo gestossen. Das freut mich natürlich; auch, dass der Film relativ problemlos auf dem Netz als Download gefunden werden kann, obwohl das die Copyright-Vorgaben verbieten:):):) Na ja Gsetze hatten es immer schon etwas schwerer im Netz. Sex wie's well, hier ist der Trailer


© Tages-Anzeiger; 10.09.2008; Seite 22 Bellevue
Auf der Suche nach der Swissness
 
Schoggi und Käse oder Banken und Teilchenbeschleuniger? In einem Dokfilm spürt Ernst Buchmüller heute Abend auf 3sat der «Marke Schweiz» nach. Von Nina Scheu 

Das Corbusier-Haus an der Höschgasse nahe beim See: ein Sinnbild für eine moderne, weltoffene,diskussionsfreudige Schweiz. In den Siebzigerjahren fanden hier zahlreiche Gesprächsveranstaltungenund Ausstellungen statt. Ernst Buchmüller hat den Ort für unser Treffen gewählt, weil er für ihn jene «Swissness» repräsentiert, der er in seinem gleichnamigen Film nachspürt. Weniger Schokolade und Käse als ein Schweiztum, das für Offenheit und Veränderung steht. «Eine Schweiz, die über ihre eigene Nasenspitze hinausschaut», sagt der Filmautor, der sich schon in mehreren Dokumentationen für 3sat mit seiner Heimat auseinandergesetzt hat: Er begab sich auf Wilhelm Tells Spuren, porträtierte Schriftsteller wie Laure Wyss oder Robert Walser ebenso wie die «Paradiesstadt Zürich». Zuletzt beschäftigte er sich in der preisgekrönten Dokumentation «Do You Speak Swiss?» mit der Vieroder sogar Vielsprachigkeit unseres Landes. 

Flaggen, Berge, Grounding 
Die Aufgabe, den Zuschauern von 3sat, deren grösster Teil in Deutschland vor den Bildschirmen sitzt, eine Schweiz zu zeigen, die der Wirklichkeit entspricht und weit über das Klischee von Alpen, Banken und Uhren hinausreicht, gefällt ihm. «Heimat ist für mich weder Flagge noch Land, noch definierbare Grenze, sondern dort, wo ich täglich bin. Ich lebe bewusst in diesem Staatssystem - auch, weil ich es beispielsweise gut finde, dass es auf dem Prinzip der Gemeinsamkeit, der Zusammenarbeit beruht», meint Buchmüller, der dieser Heimat gegenüber aber auch durchaus kritisch geblieben ist. So zeigt er in seinem Film nicht nur schöne Bilder von Flaggen, Bergen und Seen, vom Schwingfest und von der Landsgemeinde, sondern auch vom Swissair-Grounding, von Armut in einem reichen Land und von Fernsehsendungen, die mit viel falschem Schein die halbe Nation zum Schiedsrichter über musikalische Jungtalente machen. Swissness ist für Buchmüller «ein interessanter, spannender Begriff, der mit vielem gefüllt wird, von dem aber niemand so recht weiss, was er eigentlich bedeutet». Ein junger Begriff übrigens, der 1997 erstmals in der Schweizer Presse verwendet wurde, wie im Film zu erfahren ist. Ein Artikel im damals noch real existierenden «Cash» forderte die Leser dazu auf, die bis anhin verpönten Begriffe «Heimat», «Nation» und «Vaterland» neu zu definieren. Tatsächlich hat sich vieles geändert seither. Es spricht nicht mehr für eine konservative, wenn nicht gar rechtspopulistische Gesinnung, wenn man stolz darauf ist, Schweizer zusein. Das Schweizerkreuz ist nicht nur salonfähig, sondern einMarken- und Modeartikel geworden. Swissness ist in, von Freitag-Taschen bis zu längst ins Ausland verkauften Schweizer Symbolen wie die weltberühmte Toblerone oder eben die zur Lufthansa gehörende Swiss. 

Die Schweiz des Massimo Rocchi 
Swissness ist ebenso Alpaufzug wie Zürich und war daher für den Filmemacher schwer einzugrenzen. Tageund wochenlang sass er im gut bestückten Archiv des Schweizer Fernsehens und suchte nach Szenen, die seine Gedanken in Bilder umsetzen konnten. Vieles hat er zusätzlich nachgedreht oder neu gefunden. Dazu kommen längere Interviews mit drei Personen, deren Bild der Schweiz unterschiedlicher kaum sein könnte. Der analytisch kritisierende Zürcher Geschichtsprofessor Jakob Tanner wird dabei quasi zum Gegenpol der deutschen Wirtschaftsexpertin Gertrud Höhler, welche die Schweiz in höchsten Tönen lobt. Und der italienisch-schweizerische Kabarettist Massimo Rocchi sorgt für querdenkerische Zwischentöne. «Der Film ist eine Collage aus neuem und altem Material, die sehr assoziativ entstanden ist», erklärt der Regisseur und Autor: «Er zeigt eine Schweiz, die, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen, vieles gemeinsam hat mit dem Glastisch von Le Corbusier, der seit 25 Jahren in meiner Wohnung steht. Der berühmte Designer und Architekt sagte einmal, er habe ihn nur entworfen, damit mindestens acht Leute bequem zusammen essen könnten.» Und tatsächlich ist die Swissness, die Buchmüller in seiner Dokumentation vorstellt, ein Begriff, der viel mit Geselligkeit zu tun hat. Und letztlich auch mit einem gemeinsamen Verantwortung-Übernehmen - auch für das Leben in Europa. Ein anregender Ansatz, der jeden dazu einlädt, sich neu mit seinem eigenen Bild dessen auseinanderzusetzen, was die Schweiz ausmacht. 
BILD THOMAS BURLA

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